Schon seit 2011 lockt HBO’s „Game of Thrones“ unzählig viele Zuschauer, ob Fantasy-Fans oder nicht, vor den Fernseher und raubt ihnen den Atem. Doch im epischen Finale der Serie, Staffel 8, fehlt vielen genau das, was „Game of Thrones“ einst ausgemacht hat. Die Genugtuung, die zufriedenstellende Lösung des Konfliktes blieb aus und zurück blieben unzufriedene Zuschauer. Die Erklärungen dafür reichen von zu vielen „Plot Holes“ über „Deus Ex Machina“ bis einer zu hastigen Charakterentwicklung. All diese Gründe haben ihre Daseinsberechtigung doch sie kratzen nur an der Oberfläche des Wandels, der sich vollzog. Ein Wandel, der sich bis tief ins innerste Wesen der Serie vollzog. Doch was ist passiert? Was ist anders?
In diesem Essay möchte ich auf das grundlegende Wesen der Erzählung eingehen und wie Erzählung auch Game of Thrones veränderte. Ich möchte aber auch hier betonen, dass eine Geschichte anders zu erzählen nicht heißt, dass man sie schlecht erzählt.
Doch um zu verstehen, was sich verändert hat muss man verstehen, was vorher war. Und um Game of Thrones zu verstehen muss man so George R. R. Martins Bücher verstehen, denn auf ihnen basiert all das.
Das erste Mal, dass Martins Erzählung (und damit auch „Game of Thrones“) sich von der Masse an anderen Serien abhob war der Tod von Eddard Stark. Noch kurz zuvor war man sich sicher, dass er nicht sterben könnte. Schließlich ist er ja der Protagonist, zentrales Glied, dieser Geschichte oder etwa nicht?
Doch niemand verurteilte Martin dafür, dass Ned starb. War man geschockt? Klar. Doch Ned musste eben für seine Mängel bezahlen. Es war zwar ehrhaft von ihm Cersei vorzuwarnen, aber es auch naiv. Es war töricht Petyr Baelish zu trauen. Ned projizierte all die moralischen Vorstellungen, die er selbst hatte auf andere und erwarte, dass diese sich auch an sie hielten. Was sie nicht taten. Und so bezahlte Ned mit dem Tod.
Dieser Tod, und auch noch all die Tode danach zeigen einerseits , dass Martin kein Problem damit hat und regelmäßig Hauptcharaktere sterben lässt , sie eröffnen uns aber auch einen Blick in Martins Schreibprozess. Denn an ihnen erkennt man wunderbar, wie Martin mit einer „Cause und Effect“ Struktur arbeitet.
Es gibt einen Auslöser und dieser Auslöser hat einen Effekt. Dieser Effekt wiederum ist ein Auslöser für weitere Handlungen. So führt Ned’s Tod zu Robb’s Feldzug und als Robb wiederum Fehler macht stirbt er auch.
George R.R. Martin selbst schrieb einmal, dass es zwei Typen von Autoren gäbe: Den Gärtner und den Architekt. Architekten planen im Voraus, Gärtner, planen zwar die Welt, lassen aber in ihr ihre Charaktere wachsen und sehen wo es hinführt. Er selbst sieht sich mehr als Gärtner.
Diese Herangehensweise führt unweigerlich zu einem stärkeren Realismus. Unser Leben funktioniert in sehr ähnlich, denn auch es ist grundlegend in einer „Cause and Effect“ Struktur aufgebaut. Damit erreicht „Game of Thrones“ genau Realismus, für welchen es so sehr gelobt wird. Über diesen Realismus lässt sich leicht hinwegsehen, weil „Game of Thrones“ von Drachen und Magie erzählt. Damit fallen „Game of Thrones“ Fantasy-Cliches auf die eigenen Füße, die in ihren Themen so erwachsene Serie wird oft als kindisch abgetan. Doch wenn es um Charakter-Motivation und Interessen geht ist diese Fantasy-Serie realistischer als Serien, die eigentlich genau den Anspruch haben realistisch zu sein.
Was passiert nun, wenn der Autor der Serie wechselt? Schon ab Staffel 6, der ersten Staffel, die ohne die Bücher auskam machte sich ein Wandel bemerkbar. Die „Cause and Effect“ wurde durch eine andere, im Hollywood viel bekanntere und für Erzählungen eigentlich typische Struktur ersetzt: „Setup and Payoff“.
Dank Gesprächen mit Martin wissen David Benioff und D.B. Weiss ziemlich genau, welches Ende sich Martin für seine Bücher vorstellt und welche wichtigen Punkte auf dem Weg dorthin auftreten müssen. Martin selbst hat so ein Ende im Kopf, hält sich aber auf dem Weg dahin an die grundlegende Struktur, die ich vorher schon erläutert habe und die „Game of Thrones“ bis dahin prägte.
David Benioff und D.B. Weiss sind dadurch, dass Martin ihnen das Ende verraten hat den umgekehrten Weg gegangen. Sie kennen den Ausgang ihrer Geschichte und erfinden den Weg dahin. Es gibt also ein markanter Punkt, der erreicht werden muss, ein Payoff und dafür wird dann das Setup geschaffen. Das ist das grundlegende Prinzip des Erzählens. Ein spannender Moment wird erzeugt und ein Setup für diesen geschaffen. Es ist aber auch nicht „Game of Thrones“.
Wie bereits erwähnt findet sich dieses dramaturgische Prinzip in vielen, vielen anderen Werken wieder. Und auch diese waren gute Werke.
„Setup and Payoff“ brachte uns auch in „Game of Thrones“ einige der spannendsten und besten Momente der ganzen Serie, darunter die hoch gelobte Schlacht der Bastarde oder eine Folge früher: Die Schlacht hin Hartheim.
Es ist keine schlechte Erzählweise, es ist eine Andere. Aber was passiert, wenn man so spät in der Story die dramaturgische Struktur verändert? Im Beispiel von „Game of Thrones“ kann man sehen: Sie zerbricht.
In seinem tiefsten Wesen ist Martins Geschichte nämlich eine Erzählung der Macht. Macht und wie es uns beeinflusst. Sie erzählt kein einzelnes Schicksal, es ist eine Erzählung des Großen Ganzen. Deshalb auch die „Cause and Effect“ Struktur. In Game of Thrones beeinflusst alles jeden. Wichtig ist dabei nicht die einzelne Person, sie ändern sich im Laufe der Serie, sondern ein größeres Bild. Die Struktur ist wie für die Serie geschaffen. Ändert man sie nun, ändert sich auch das innerste Wesen.
Die Charaktere und ihre Entwicklungen in „Game of Thrones“ sind vielzählig und prägen die Serie stark. Dennoch kommen all ihre Heldenreisen einmal zum Ende, was bleibt ist das größere Bild. Das Bild eines Kampfes um den Thron, der sich durch immer größer werdende Gräueltaten der Charaktere hochschaukelt. In „Game of Thrones“ ist keiner der Charaktere böse, weil er böse ist. Es sind die äußeren Einflüsse, die Institutionen, die Gesellschaft, die sie zu bösen Dingen bringen.
Martins Erzählungsweise der „Cause and Effect“ Struktur eignet sich deshalb so gut, weil sie die Abhängigkeit zweier Ereignisse, eine Faktor, der elementar für solche eine Erzählung ist, besonders gut darstellt.
„Game of Thrones“ ist eine Erzählung, der Abhängigkeiten von Institutionen und des Zusammenlebens unter ihnen. Es ist, wie Daenerys sagen würde „eine Erzählung des großen Rades“, der Monarchie. Damit ist „Game of Thrones“ eine durch und durch soziologische Erzählung.
Was ist nun passiert, als man den Schreibstil änderte? Das innerste Wesen „Game of Thrones“ änderte sich und die Geschichte wurde, wie so viele andere Hollywood Erzählungen eine psychologische. Psychologisch, das heißt eine Erzählung des einen (oder von mehreren) Protagonisten und seiner (oder ihrer) Reise. Institutionen, und Abhängigkeiten verschwinden. Im Vordergrund stehen die Protagonisten und ihre Entscheidungen, nur beeinflusst durch sich selbst.
Dass das grundlegend nichts schlechtes ist, betonte ich nun schon oft genug, schließlich funktionieren viele Geschichten nach diesem Schema.
Nur, dass die Geschichte, wie Martin sie erdachte, und auch ihr Ende, immer noch soziologisch ist. Ein Widerspruch, der die Serie im im Innersten zerreißt. Psychologisch ist nun die Erzählweise nun, soziologisch aber ihre Geschichte, beziehungsweise die Rahmenpunkte der Geschichte.
„Game of Thrones“ hat als soziologische Erzählung die Chance etwas wirklich tiefgreifendes über Gesellschaften und ihr Verhalten zu erzählen und hat es in der Vergangenheit auch immer wieder getan. Doch um die Entwicklung eines Charakters spannender, aufregender zu machen, riskierte man den soziologischen Charakter der Serie. Durch den Wandel von „Cause and Effect“ zu „Setup and Payoff“ verschwand der Realitätsanspruch, plötzlich konnte Gendry ewig weit laufen, Hauptcharaktere starben nicht mehr und andere versanken in der Versenkung. Soziologie wurde zu Psychologie, die spannenden Geschichten der Hauptcharaktere wurden über die des Throns und der Macht gestellt. Und, damit verschwand die Moral.
Das ist für mich der Knackpunkt. Anfangs war ich begeistert von dem Wandel. Folgen, wie die letzte Folge der 6. Staffel ließen mich den Atem anhalten. Doch gerade in den späteren Staffel wurde mir letztendlich klar, dass dieser Wandel genau das riskierte, was „Game of Thrones“ uns all die Jahre vorhielt.
George R.R. Martin selbst sagte einmal, dass jeder der Held seiner eigenen Geschichte sei.
Es gibt viele, viele Geschichten in Game of Thrones, doch nur die wenigsten Protagonisten dieser sind gänzlich Helden. Und viele dieser Charaktere sind tot. „Game of Thrones“ bewegt sich ständig in einer Grauzone, Charaktere mit denen wir sympathisieren tun schreckliche Dinge. Aber sind sie deshalb böse?
Nein, denn das ist es, was Game of Thrones uns zeigt: das Böse. Nicht in uns, in der Gesellschaft, in den Institutionen. Westeros ist eine Welt, in der die Guten scheitern, in der die Bösen immer wieder profitieren, siegen und weiter angetrieben werden. Es ist kein Platz für liebende, ehrbare, hilfsbereite Menschen. Menschen, die dies sind sterben so wie Ned, so wie Robb, so wie Jon (zum Mindestens ein Mal).
Game of Thrones zeigt uns nicht nur wie sinnlos es ist das Spiel der Throne überhaupt zu spielen, wie es all die menschen-verachtenden Emotionen in uns hervorruft, es zeigt auch, dass der Gute in dieser Welt gar nicht gewinnen kann. Und deshalb muss es das Spiel beenden, er muss das Rad zerstören. Nur so kann dieses Ewige Spiel beendet werden.
Selbst Menschen mit guten Absichten sind nicht vor dem Bösen geschützt, auch sie können verkommen.
Daenerys Wandel zeigt das besser als alles andere doch auch hier sieht man den Wandel. Während Martin ihnl als einen soziologischen , von den Institutionen verursachten, sah, nahmen D&B ihn als plötzlichen psychologischen und charakterlichen wahr. In einem Interview sagten sie selbst, dass sie abrupt und plötzlich entschied wahnsinnig zu werden. Sie entscheidet aufgrund ihrer Psyche, dabei hätte es ein Produkt der Soziologie, der Institutionen, der Macht sein müssen. Nicht um sonst verbrennt Drogon den Eisernen Thron in der letzten Folge.
Er vermittelt die Botschaft der Serie, als nicht mal mehr die Serie sie wirklich vermittelte. Das ist die Moral, visualisiert. Böses wird nicht mit böserem besiegt. Böses wird gar nicht besiegt, um es zu besiegen muss man es verstehen, man muss die Bedingungen ändern. Um das Spiel der Thone zu gewinnen, muss man es verändern.
Die letzte Staffel ist ein Produkt zweier narrativer Prinzipien, die aufeinander treffen und sich gegenseitig zerstören. Es ist immer noch eine grandiose Serie, keine Frage. Auch die letzte Staffel war nicht schlecht, als hätte sie mir nicht gefallen. Sie wirkte nur anders und falsch.
Traurig ist dabei, dass das große Vermächtnis von „Game of Thrones“, die Moral dabei ein wenig auf der Strecke bleibt und dass nur, um eine spannendere, aufregendere Geschichte zu erzählen (obwohl sie vielleicht nicht einmal das war, doch das liegt dann wirklich an dem von D&B entwickelten Plot.