Jon Ronald Reuel Tolkien legte mit seinem „Herrn der Ringe“ den Grundstein für das Fantasy-Genre, wie wir es heute kennen. Mit Mittelerde schuf er eine Welt mit einer eigenen Geschichte, mit ihren eigenen Göttern und – vielleicht am wichtigsten – mit ihren eigenen Sprachen. Doch was brachte Tolkien überhaupt dazu? Wer ist der Mensch, der im Schatten dieser Werke steht?
Diese Fragen möchte nun „Tolkien“ beantworten. Doch wer Tolkiens Leben erzählen möchte und insbesondere, wie er dazu kam Mittelerde zu erfinden, beziehungsweise den „Herrn der Ringe“ (und natürlich auch den „Hobbit“) zu schreiben, der steht vor einigen Problemen.
Das erste Problem ist ein ganz simples und doch sehr schwer zu umgehen. Tolkiens Leben war keineswegs langweilig doch es ist nicht geprägt von vielen dramatischen, spannenden Momenten, die man auf die Leinwand bringen kann. Doch genau solche Momente brauch ein Biopic um spannend und interessant zu bleiben. Ich meine das nicht böse oder abwertend. Alle die auch nur einen Essay von uns gelesen haben sollten wissen, dass wir beide Tolkien lieben. Doch die Zeit, in der Tolkien seine großen Werke veröffentlicht war eben keine spannende Zeit. Tatsächlich schreibt sogar sein Biograf Humphrey Carpenter über das Jahr 1925: “ Hiernach, kann man sagen, ist nicht mehr viel passiert“. In diesem Jahr wurde er Professor., bis zu der Veröffentlichung vom „Hobbit“ ist es noch ein weiter Weg. Und, erst danach kam „Der Herr der Ringe“.
Und, auch wenn seine Werke von großer Bedeutung sind – auch die wissenschaftlichen- erzählen sie uns doch wenig über sein Leben, welches aber Thema dieses Film sein soll.
Allerdings gibt es ja noch die Jahre vor 1925, seine Jugend. Eine logische, richtige Reaktion des Filmes ist es also von diesen Jahren zu erzählen. Tolkiens Jugend war, wenn auch nicht außergewöhnlich, sehr ereignisreich. Nicht zuletzt der Erste Weltkrieg, in dem auch Tolkien – sogar an der Somme – kämpfte. Es ist auch aus einem anderen Grund eine gute Entscheidung: Sie verhindert eine Darstellung des Professor Tolkiens. Der Film kann deshalb nicht diese Zeit und damit verbunden auch seine Werke beschmutzen. Er geht angemessen mit dem Erbe – dem wissenschaftlichen als auch dem kreativen um, dass Tolkien hinterlässt.
Wenn man nun aber die Frage beantworten möchte, wie Tolkien dazu kam Mittelerde zu entwickeln und dabei nicht von der Zeit erzählt, in der er die Werke veröffentlichte muss das heißen, dass Tolkiens Jugend sehr viel Einfluss auf diese Werke hatte. Diese These ist es auch, die der Film über seinen ganzen Verlauf vertritt.
Regelrecht über geht das Bild von der Realität des 1900 Jahrhunderts zur Fantasy Mittelerdes, von Inspiration zu Umsetzung. Noch sieht man die Gasangriffe im Ersten Weltkrieg und schon im nächsten Moment findet man sich in der nebeligen Landschaft Mordors wieder. Diese sehr bildliche Herangehensweise führt zu dem zweiten Problem. Tolkiens Leben in seinen Werken wiederzufinden ist laut vieler Leser nicht möglich, da Tolkien selbst sagte, dass er Allegorien verabscheue.
Ich habe eine herzliche Abneigung gegen Allegorie, und zwar immer schon, seit ich alt und wachsam genug war, um ihr Vorhandensein zu entdecken.
Tolkien, Jon Ronald Reuel: Der Herr der Ringe, Vorwort.
Kann man also überhaupt behaupten Tolkiens Leben, insbesondere der Erste Weltkrieg, seien in irgendeiner Weise im „Herren der Ringe“ wiederzufinden? „Nein“ zu sagen, wäre die einfache Antwort, aber auch die falsche. Ich werde, kurz nach diesem Artikel einen eigenen über Tolkiens Einstellung zu Allegorien schreiben, all dies hier zu erklären würde den Kontext sprengen. Fakt ist jedoch, dass selbst Tolkien, wie er im selben Vorwort zugibt, nicht unbeeinflusst von seinem Leben, seinen Erfahrungen blieb. Zusammenhänge zwischen seinem Leben, seinen Erlebnissen, seinen Vorlieben und auch seinen Ängsten lassen sich also definitiv auch schon zwischen dieser Zeit und dem „Herrn der Ringe“ finden.
Themen, die ein Autor in seinem eigenen Leben aufgreift sind keine Allegorie, eher Inspiration. Sie deuten auf kein festes Ereignis, sie lassen dem Leser Freiraum für seine eigene Interpretation. „Der Herr der Ringe“ deutet nie auf bestimmte Ereignisse im echten Leben Tolkiens hin doch Ereignisse im echten Leben Tolkiens können Auslöser für Ereignisse im Herrn der Ringe sein.
Schade finde ich, dass dieses sehr weiche, wage Band zwischen Fantasy und Realität nicht immer so dargestellt wurde. Teils wirkte es eher wie ein sehr festes, hartes Band.. Dome Karukoski, Regisseur des Films, sagte selbst, dass er wollte, dass Fans der Filme und Bücher in jeder Szene Zusammenhänge zwischen dem Leben und den Werken finden sollen. Teils scheint es so beim Zuschauen des Films so, als wären bestimmte, genaue Ereignisse verantwortlich für Entscheidungen in den Werken. So gründen Tolkiens Freunde in Birmingham einen Club mit ihm und nennen sich dann „Gemeinschaft“ (fellowship). Karoukoski wollte damit natürlich zeigen , dass genau diese Freunde Inspiration für die Gemeinschaft im „Herrn der Ringe“ waren. Ein weiteres Beispiel: Der Soldat, der Tolkien durch die Graben im Ersten Weltkrieg hilft heißt auch „Sam“ und wirkt ein Wenig wie der Sam, der Frodo (oder eben Tolkien) durch Mordor half.
Auf der einen Seite sind diese Momente schön, mich als Fan bringt das natürlich zum Schmunzeln. Auf der anderen Seite verzerren sie die Wechselwirkung und das Zusammenspiel von Fantasy und Realität, dass in anderen Momenten so schön rüber gebracht wird.
Dieses Zwischenspiel von Fantasy und Realität zeigt uns, dass Fantasy eben nicht nur Spinnerei ist, sondern auch immer etwas über das echte Leben enthüllt. Wird dieses Band zwischen beidem aber zu fest und hart dargestellt, nimmt es den Geschichten Kreativität und Fantasie.
Dennoch finde ich Tolkien ist ein gelungener Film. Besonders schön fand ich, wie viel Wert auf Tolkiens Liebe zur Sprache gelegt wurde. In gewisser Weise ist es gar kein Film, der uns den Grund für den „Herrn der Ringe“ erzählt. Es ist ein Film über Sprache. Sprache und Sprachen sind nämlich der wahre Grund für Mittelerde, für Arda, für Tolkiens Geschichten.
Auch der erste Weltkrieg als Schlüsselereignis seiner Jugend ist schön dargestellt. Im Vordergrund des Films steht aber eigentlich eine Erzählung über Freundschaft und Liebe. Tolkiens Beziehung zu Edith Bratt ist es defintiv wert erzählt und in Szene gesetzt zu werden. Die teils etwas kitschige aber doch akurate Umsetzung gefiel mir sehr. Verwunderlich für mich war lediglich, dass weder Beren noch Lúthien hierbei erwähnt wurden.
Wie nach jedem BioPic wurde auch hier wieder eine Diskussion über historische Akkuratesse los getreten. Zu Unrecht, wie ich finde. BioPics haben nicht den Anspruch akkurat zu sein. Deshalb distanzierte sich der Tolkien Estate ja auch vom Film. Sie sind dazu da eine (langweilige) Biographie für ein weites Publikum zugänglich zu machen. Sehr schön wäre es natürlich, wenn aus dem Kino kommt und sich denkt: War das denn wirklich so? Und, dann guckt man nach, man recherchiert und nimmt vielleicht sogar eine richtige Biographie zur Hand. Allen, die eine akkuratere Herangehensweise suchen, kann ich die Doku von Arte empfehlen.
Kino ist immer noch Kunst, Biographien sind Fakten. Ein Biopic versucht beides zu verbinden und darunter wird entweder Unterhaltung oder Akkuratesse leiden. Das sollte man aber vorher wissen. Und, ob man ins Kino geht kann ja jeder noch selbst entscheiden. Ich für meinen Teil kann euch nur dazu raten.