1949 veröffentliche Joseph Campell, ein amerikanischer Professor auf dem Gebiet der Mythologie, ein Buch mit dem Namen „The Hero with Thousand Faces“. In diesem Buch machte er aufmerksam auf ein dramaturgisches Konstrukt: die Heldenreise.
Campell beschreibt in seinem Buch verschiedene Stationen, die ein Held auf seiner Reise durchlebt. Insgesamt sind es 17 Stationen, nicht alle davon werden in jeder Geschichte bedient, aber ich werde an dieser Stelle nicht alle davon erläutern. Dafür gibt es Wikipedia (oder die englische Seite für einen umfangreicheren Einblick). Fast alle Geschichten, Sagen, Erzählungen und Romane basieren so, laut ihm, auf diesem simplen Konstrukt. Von den „Ilias“ bis hin zu „Harry Potter“ und eben, letztendlich dann auch „Game of Thrones“.
Campell meint, dass dieses Konstrukt, so generisch es auch sein mag, für uns Leser einfach besonders faszinierend ist. Es gefällt uns zu sehen, wie der Held ins Abenteuer zieht, von Mentoren unterstützt wird, Liebe findet, beinahe scheitert und dann doch siegt. Alternativ kann unser Held natürlich auch ganz am Ende scheitern und vielleicht sogar sterben, ganz gemäß des Prinzipes der Tragödie.
Fakt ist jedoch, dass unser Protagonist, unser Held seine Heldenreise erst erleben muss. Dafür muss er am Leben bleiben oder zu mindestens handlungsfähig sein. Und das ist ein Problem auf, das oft als „Plot Armor“ bezeichnet wird.
Damit meint man, dass der Protagonist eines Buches all seine Probleme lösen kann und definitiv nicht sterben wird, da er von unverzichtbarem Wert für die Handlung ist – schließlich geht es um ihn. Der Held einer Heldenreise kommt immer mit einer „Plot Armor“ und das nimmt die Spannung und den Nervenkitzel von den gefährlichen Momenten, da man ja sicher sein kann, dass der Held einer Geschichte überleben wird.
Schlechtes Konstruieren der Handlung führt sogar dazu, dass Charaktere sich in einem für sie unlösbaren Moment befinden und, da sie ja trotzdem überleben müssen greift der Autor dann oft zu „Deus Ex Machina„.
Autoren lösen dieses Problem auf verschiedene Weisen. Einige etablieren direkt mehrere Protagonisten, sodass einige von ihnen sterben können und dann quasi eine kürzere Heldenreise haben als der Protagonist. Dadurch bekommt man wieder das Gefühl von Gefahr und Angst. Man hofft immer, dass der Lieblings-Charakter nicht stirbt.
Anders macht es Patrick Rothfuß, der gleich zu Beginn seiner Königsmörder-Chroniken festlegt, dass Kvothe überlebt indem er Kvothe die Geschichte später erzählen lasst. Auf den ersten Blick nimmt das die Spannung raus. Doch der junge Kvothe ist ein ganz anderer Mensch als der alte Kvothe und so fragt man sich hier immer nur: Wann wurde er so? Was ist passiert? Und diese Fragen sind es hier, die den Leser bei der Spannung halten, denn bei jeder gefährlichen Szene denkt man sich: Jetzt muss er kommen, der Moment, der ihn zu dem machte, der er heute ist. Natürlich hat Rothfuß Buch noch andere große Stärken und wirft noch andere Fragen auf, die dem Leser auf der Seele brennen.
Ab nun folgen Spoiler für Game of Thrones!
Ein wahrer Meister ist aber, was die Heldenreise angeht, George R. R. Martin. In seiner Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“ – und natürlich auch in der Serie – sterben ständig Charaktere. Heißt es, dass es keine Heldenreise gibt? Nein, Martin bedient sich hiernur einerseits an dem vorhin erwähnten Trick mit mehreren Protagonisten. Und davon hat er sehr viele. Fast kein anderer Autor schreibt aus so vielen verschiedenen Perspektiven wie Martin.
Doch er tut noch etwas anderes Geniales. Martin versteckt seine wirklichen Helden. Es ist nämlich nicht so, dass in seinen Büchern keine Charaktere eine „Plot Armor“ besitzen. Mindestens Fans der Serie sollten das jetzt wissen. Ich erinnere nur ungern an die seltsame, gestellte Reise gen Norden, in der einzig und allein Thoros von Myr umkam. Aber, in den letzten zwei Staffeln sterben weniger Charaktere, weil sich nun die wahren Protagonisten zeigen. Eben diejenigen, die ihre Heldenreise durchleben und nun auf das große Finale zusteuern.
Lange tarnte George seine Helden. Dazu benutzte er verschiedene Kniffs. Einer davon ist das Ablenken. Der erste Charaktern aus dessen Sichtweise geschrieben wird, ist Will. Will überlebt nicht einmal die erste Stunde. Danach wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf Eddard Stark gelenkt, von dem man denkt er ist der Protagonist. Bis er stirbt. Dann geht es weiter mit Rob Stark. Bis er stirbt. Genauso wie viele andere Protagonisten, die eben nicht die zentrale Rolle spielen. Martin versteckt also nicht nur seine Helden, er lenkt auch bewusst die Aufmerksamkeit auf andere Charakteren. Dabei waren die Protagonisten die ganze Zeit direkt unter unser Nase.
Erst jetzt, 8 Staffeln später, wird offensichtlich, dass der wirkliche Hauptcharakter eben doch Jon Schnee ist. Dabei heißt sein Buch sogar „Das Lied von Eis und Feuer“ und bezieht sich damit direkt auf Jon’s Eltern. Eis für Liana Stark, Feuer für Rhaegar Targaryen. Und trotzdem war uns das lange, lange Zeit nicht bewusst.
All die anderen Stark-Kinder, die noch leben, haben ihre eigene Heldenreise durchlebt. Das sieht man jetzt. So täuschte Martin uns lenkte erst die Aufmerksamkeit auf Haus Stark, dann weg, nur um sie letztendlich doch wieder auf das Haus zu lenken.
Dass Martin das schafft ist bemerkenswert. Und daran sollten sich viele Autoren ein Beispiel nehmen. Denn dafür sorgt er nicht nur für Spannung in seinen Büchern, sondern verleiht seinen Geschichten auch eine davor im High-Fantasy-Genre nie dagewesene Nähe zum echten Leben, von dem Tod eben ein wesentlicher Bestandteil ist. Gerade, wenn so viele Bücher von Krieg erzählen. Wie er selbst im Interview sagt: „If any writer is gonna write about war, then I want them to treat war honestly. And one thing I know about war […] is it does bring out the beast in men and anybody can die“.