Nachdem ich vor einiger Zeit bereits eine Kritik von Elantris hochgeladen habe, widme ich mich nun dem nächsten Werk von Brandon Sanderson – seinem Magnus Opus – und dem Prolog der größten Fantasy-Reihen unserer Zeit: „Der Weg der Könige“. Das erste Mal habe ich den Weg der Könige schon vor einigen Jahren gelesen, nun aber während des Urlaubs noch ein zweites Mal und mich jetzt entschlossen, auch dafür eine Kritik zu schreiben.
Zuerst muss ich jedoch etwas zu der Übersetzung sagen. Wie auch die anderen Werke der Reihe erschien „Der Weg der Könige“ in Deutschland aufgeteilt in zwei Werke. Das Erste trägt den englischen Originaltitel („Der Weg der Könige“), das zweite – etwas kürzere – hingegen „Der Pfad der Winde“. Ich werde in diesem Review jedoch beide als ein Werk betrachten, so wie der Autor es vorgesehen hat.
Zusammengefügt kommt das Werk im Deutschen auf circa 1700 Seiten (896 Seiten + 784 Seiten) und ist damit alleine schon vergleichsweise außergewöhnlich, selbst für Sanderson. Tatsächlich ist es mit seinem 400.000 Wörtern selbst im Englischen schon eines der längsten Fantasy-Werke, wenn nicht das längste Fantasy-Werk, das ich kenne. Wenn Sanderson die Sturmlicht-Chroniken beendet und alle Werke in ähnlicher Länge wie die bisherigen drei schreibt, könnte das sogar die längste bekannte Fantasy-Reihe überhaupt werden und Übersetzungen ins deutsche sind sowieso immer noch einmal gut zwanzig Prozent länger (für dieses Buch: 1300 Seiten im Original, 1700 im Deutschen).
Genug nun aber von Seitenlängen. Es ist aber diese Länge, gepaart mit der Tatsache, dass dies das erste Buch einer noch längeren Reihe ist, die die Frage aufwirft: Sollte ich meine Zeit wirklich diesem umfangreichen Epos, der der „Weg der Könige“ eben ist, widmen. Ich werde diese Frage nun hoffentlich befriedigend – und in etwas weniger Wörtern – beantworten.
Eine der schwierigsten Prüfungen beim Schreiben dieser Kritik ist, dass ich am liebsten überhaupt nichts spoilern möchte. Tatsächlich empfehle ich sogar jedem, der darüber nachdenkt „Der Weg der Könige“ zu lesen, das Buch einfach direkt zu kaufen, ohne dieses – oder irgendein anderes Review – weiter zu lesen. Warum? Ich habe andere Kritiken gelesen, die von der Welt, den Charakteren und dem Magie-System berichten, aber das möchte ich eigentlich nicht. Ich möchte es nicht, weil ich glaube, das dieses Buch ein so ausgereiftes Erlebnis ist, wie wir es im Fantasy-Genre nur selten kriegen. Und, ich möchte diese Erfahrung nicht vorwegnehmen. Deshalb werde ich so wenig des eigentlichen Plots wie möglich erzählen, so wenig wie möglich von der Welt berichten und so wenig wie möglich über die Charaktere sagen. Stattdessen möchte ich dieses Buch von einer etwas technischeren Seite aus betrachten als noch mit Elantris.
Schon zuvor hat Sanderson bewiesen, dass er faszinierende Welten erschaffen kann. Seine Welten sind oft diversen Naturphänomenen untergeordnet, die das Leben beeinflussen. In Elantris war es die Shaod und in Mistborn der Nebel. Mit dem Weg der Könige geht Sanderson jedoch einen Schritt weiter.
Roschar ist eine sturmumtoste Welt. Einst von mächtigen Kriegern beherrscht, deren magische Schwerter über Leben und Tod entschieden, droht es nun im Chaos zu versinken.
Klappentext „Der Weg der Könige“. Brandon Sanderson.
Diese zwei ersten Sätze des Klappentext sind eine Untertreibung in jeder Hinsicht. Ich verstehe, dass Klappentexte kurz sein müssen. Aber dieser hier ist so kurz, wie es nur geht. Nichts davon ist falsch. Es ist dennoch nicht genug, um das, was Sanderson schafft, wirklich zu würdigen.
Mit einem Wort („sturmumtost[e]“) wird das Phänomen der Großstürme beschrieben. Großstürme sind wiederkehrende Hurrikane-artige Stürme, die ganz Roshar – das ist der Name dieser Fantasy-Welt – heimsuchen. Es ist äußerst gefährlich, einen dieser starken Stürme in einem nicht gesicherten Ort zu verbringen. Doch, das ist nicht die einzige Anpassung, die die Bewohner Roshars durchmachen. Ihre Häuser und Städte sind alle in einzigartiger Weise an das Phänomen angepasst, es gibt wissenschaftliche Berechnungen, um sie zu verstehen und hervorzusagen, Religion und auch ihre Währung hängen mit ihnen zusammen und nicht zuletzt die Natur selbst hat sich mit ihrer unglaublich vielfältigen – und für uns völlig ungewohnten – Flora und Fauna an diese Großstürme angepasst. Sandersons Welt ist so durchdacht, dass alles auf solche Umweltveränderungen reagiert. Wirklich alles. Es ist phantastisch.
Ich möchte hier nicht zu tief ins Detail gehen, aber um das Ausmaß dieser Beeinflussung durch Großstürme noch einmal deutlich zu machen, möchte ich ein kleines Detail nennen. Es ist in Alethkar, das ist eines der Länder Roshars, üblich, Verbrecher zu bestrafen, indem man sie bei einem Großsturm draußen aufhängt. Überleben sie, sind sie frei, doch diese Praktik kommt quasi einem Henkersurteil gleich. So hat sich das Umweltphänomen selbst in die Rechtssprechung geschlichen.
Etwas, das die größten Fantasy-Werke fantastisch macht, sind ihre lebendigen und vor allem erlebenden Welten. Erlebend, damit meine ich, dass diese Welt nicht nur für den Leser existiert. Nein, die Bewohner selbst erleben ihre Welt auch. Sie dokumentieren die Geschichte, die sich umso weiter man zurückgeht in Mythen und Legenden verläuft; Religion sucht Erklärung für übernatürliche Phänomene und verarbeitet Vergangenes; Königreiche werden gegründet, existieren und zerfallen wieder.
Auch hier toppt Sanderson das, was er in bisherigen Werken geschafft hat, denn „Der Weg der Könige“ führt uns genau in eine solche Welt. Eine Welt mit einer Geschichte, die – wenn auch längst nicht so vielschichtig wie die Tolkiens oder G.R.R. Martins ist – tiefgründig ist. Was mir hier sehr gut gefällt, ist, dass sie uns auch etwas über Mythen lehrt. Etwas über Geschichten selbst. Das, was überliefert ist, muss nicht das sein, was wirklich geschehen ist, denn Geschichten wandeln sich und übertreiben im Laufe ihrer Entwicklung. Dennoch haben sie einen wahren Kern. Es ist dieser wahre Kern, der eines der großen Geheimnisse der Sturmlicht-Chroniken ist. Was genau das ist, das erfahren wir noch nicht im ersten Teil der Reihe, aber wir erfahren zumindest kleine Antworten, die nicht weniger befriedigend sind.
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ihr, solltet ihr Fantasy-Fans jemals nach guten Magiesystemen in Fantasy-Büchern gefragt haben, an eines der Bücher von Sanderson verwiesen wurdet. Jedes einzelne von ihnen verfügt über ein faszinierendes magisches System, das meistens eher einer Wissenschaft gleicht, da es strikten Regeln folgt („Hartes Magiesystem„). Das ist hier nicht anders. Die Sturmlicht-Chroniken strotzen nur so vor Magie. Die Regeln werden dem Leser aber – noch – nicht wirklich erklärt, was es schwieriger macht damit warm zu werden. Andere Werke von Sanderson, Mistborn zum Beispiel, sind dort zugänglicher. Aber auch wenn wir nicht alles verstehen, bleibt Sandersons Magie faszinierend. Auch hier werde ich nicht weiter ins Detail gehen, ihr müsst euch also einfach auf mein Wort verlassen. Ich kann aber sagen, dass ich das Wenige, was ich nach dem ersten Band weiß, liebe.
Dass das Worldbuilding in diesem Buch also phantastisch ist, steht außer Frage. Wie sieht es aber mit den Charakteren aus? In „Der Weg der Könige“ kommen viele verschiedene Charaktere als Protagonisten zur Sprache, es gibt jedoch drei Hauptcharaktere, die den meisten Teil des Textes abbekommen.
Unter Fans der Reihe gibt es einen klaren Liebling: Kaladin. Er ist es auch, der – zumindest in diesem Buch – am meisten Kapitel und Hintergrundgeschichte abbekommt. Dabei erfüllt Kaladin den Archetypen eines mysteriösen, gebrochenen und vor allem ehrenwerten Anführers, den ich schon aus früheren Werken Sanderson’s kenne (Raoden in Elantris, Kelsier in Mistborn). Hier bringt Sanderson ihn allerdings zur Perfektion. Alte Archetypen zu verwerten ist ja nicht unbedingt etwas Schlechtes, gerade wenn es um das Aufwerten dieser geht. Und, Kaladin hat durchaus etwas sehr Eigenes, was ihn von Raoden und Kelsier unterscheidet.
Shallan und Dalinar, die anderen beiden Charaktere wirken dagegen fremder und erfrischender. Typisch für moderne Fantasy ist es, dass von den Charakteren gesundheitliche, mentale Probleme aufgegriffen werden. Kaladin hat mit Depression zu kämpfen, Schallan mit einem Kindheitstrauma und Dalinar mit der Verarbeitung des Todes seines Bruders. Diese Themen werden nicht nur entsprechend gewürdigt, Sanderson schafft es auch, sie – soweit ich das beurteilen kann – gut darzustellen. Er schreibt glaubhafte und kreative Charaktere. Auch wirken seine Charaktere immer intelligent, ohne dass dem Leser, damit sie es wirken, Informationen vorenthalten werden (Falls es euch interessiert, wie Sanderson kluge Charaktere schreibt, guckt euch gerne dieses Video aus einem seiner Livestreams an).
Was mich in diesem Buch aber wirklich überzeugt hat, ist das Charakter-Development. Klar, „Der Weg der Könige“ ist ein sehr langes Buch, aber es ist trotzdem nur ein Buch. Und, in diesem Buch schafft Sanderson es die Haltung seiner Charaktere glaubhaft von Grund auf zu verändern, und zwar mehrmals bei allen Charakteren. Damit hat jeder einzelne dieser drei Hauptcharaktere einen eigenen Fokus, ein eigenes Problem, an dem der Charakter wächst und sich weiterentwickelt.
Die Hauptcharaktere und die meisten Nebencharaktere haben mir also durchaus sehr gut gefallen. Sie wirken alle vielschichtig und werden nicht einzig und allein auf irgendeine Eigenschaft reduziert. Lediglich wenn es um Politik ging, wurden die Charaktere etwas eindimensionaler. „Der Weg Der Könige“ dreht sich allgemein sehr viel um Politik und das ist auch nicht schlecht. Aber was Charakter-Motivation, Intrigen und Ränkespiele angeht, sollte man dennoch nicht zu viel erwarten. Das ist kein zweites „A Song of Ice and Fire“. Erwartet man jedoch nicht genau das, reicht das, was wir bekommen, völlig aus.
Es gibt Leute, die sagen, dass Sanderson keine eigene Stimme als ein Autor hat. Ich denke, das stimmt nicht. Ich denke aber, dass es wahr ist, dass sein Schreibstil weder besonders blumig, ausschweifend, schnell oder sonst in irgendeiner Hinsicht besonders ist. Es ist eine sehr ausgewogene Mitte. Doch gerade das ist eben seine Stimme als ein Autor.
Für „Der Weg der Könige“ heißt das, dass es ein sehr zugänglicher und verständlicher Schreibstil ist. Jedes seiner Werke lässt sich am Stück und ohne Umgewöhnung lesen, eben weil der Schreibstil so ’nüchtern‘ ist. Nüchtern meine ich hier aber nicht in einer schlechten Weise. Es fehlt nichts, es ist kein schlechter Schreibstil. Aber, es ist auch keiner, der auffällt.
Wo Sanderson sich abhebt, das ist in Sachen Struktur und Plot. Ihm wird oft vorgeworfen, dass er Info-Dumping betreibt, das heißt, den Leser mit – unnötigen oder nicht gut in die Geschichte verwobenen –Informationen überschüttet. Und ich glaube, das ist wahr. Nicht nur gibt es in „Der Weg der Könige“ sogenannte Zwischenspiele, die den Leser teilweise massiv mit Informationen erschlagen. Für mich ist das jedoch nichts Schlechtes, aus zweierlei Gründen.
Erstens sind diese Informationen zur Welt meistens so faszinierend und interessant, dass sie – auch wenn vielleicht doof eingeschoben – eher willkommen sind. Zweitens spielen viele der Informationen, die Sanderson einstreut, ganz egal wie irrelevant sie an dieser Stelle erscheinen mögen, meistens noch eine Rolle. Denn Sanderson ist ein meister der Zusammenführens verschiedener Plotstränge, mitsamt all ihrer Informationen.
Das heißt nicht, dass der Infodump nie störend war. Insbesondere, wenn Sanderson Charaktere und Orte beschreibt, wirkt die Einfügung in das Kapitel manchmal ein wenig gestelzt. Aber dessen haben sich auch schon andere Autoren schuldig gemacht.
Ich habe es gerade schon einmal angesprochen, möchte dieser Tatsache nun aber dennoch noch einmal einen kleinen Absatz widmen. Wie schon in seinen anderen Werken ist es faszinierend, wie alles zusammen kommt. „Der Weg der Könige“ ist langsamer als andere Werke Sanderson, weil er auch viel mehr weitere Werke vorbereiten muss, aber der Höhepunkt im letzten Drittel des Buches ist wieder einmal so fesselnd, dass sich all das Lesen gelohnt hat.
Ich habe das Gefühl, mit Sanderson Büchern gibt es so etwas wie ruhige Momente nicht. Die Spannung einer Geschichte kann sich nur weiter steigern, immer und immer weiter. Damit fließen auch die Wörter so dahin und auf einmal, ohne das man wirklich weiß wieso, ist man durch. Die Wortlänge ist also definitiv kein Problem. Es gibt weitaus kürzere Bücher, die sich für mich sehr viel länger und vor allem lang gezogener angefühlt haben. Das liegt teilweise an der packenden Geschichte, teilweise an der guten Struktur und auch teilweise an dem intuitiven Schreibstil.
Das alles klingt nach ziemlich viel Lob. Und so ist es auch gemeint. Tatsächlich gibt es sogar noch viel mehr zu sagen, aber ich denke – und hoffe – das reicht. Die Sturmlicht-Chroniken haben zu Recht eine so riesige Fan-Gemeinde und besonders der erste Teil, ist zu Recht das Lieblingsbuch vieler. Das heißt nicht, dass es perfekt ist. Es hat seine Schwächen, beispielsweise das langsame Tempo am Anfang oder das Infodumping (ich habe gehört, dass einige die Zwischenspiele sogar überspringen). Auch finde ich es immer problematisch, wenn einige Charakterstränge weitaus interessanter sind als andere, dadurch fühlen sich die Kapitel dieser weniger interessanten Protagonisten immer sehr zäh an (Auch hier habe ich davon gelesen, dass Einige deshalb Kapitel erst übersprungen haben und danach gelesen haben, eben weil andere Handlungsstränge fesselnder waren). Und für mich persönlich hat die Mistborn-Reihe auch immer noch das bessere Magie-System.
Aber das ist eben Meckern auf einem unglaublich hohen Niveau und selbst mit all diesen kleinen Macken ist „Der Weg der Könige“ ein fantastisches Buch, ein erster Teil einer Reihe, der seinesgleichen sucht. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass „Die Sturmlicht-Chroniken“ so etwas wie moderne Klassiker sind. Damit sollte sich die Frage nach dem Lesen – zumindest als Fantasy-Fan – eigentlich erübrigt haben. ‚Wann?‘ Sollte es wohl eher heißen.